Bei der French Aerospace Gazelle (1274) von Winner erhält der Käufer ein schönes Modell mit einer guten Steinequalität zu einem attraktiven Preis. Ein Patzer stört jedoch das sonst sehr positive Bild.
Das Original
Das Modell der Aerospace Gazelle geht auf die Aérospatiale SA 341 zurück, welche wiederum als Nachfolger der Aérospatiale Alouette III konzipiert wurde. Auch wenn sich der erste Prototyp bereits 1967 zum ersten Mal in die Lüfte erhob, ist der Helikopter noch heute in aktualisierten Versionen in mehr als 23 Ländern im Einsatz. Bis zu ihrer Einstellung 1996 wurden weit über 1.700 Exemplare gefertigt, wobei die Ausführungen vom leichten Mehrzweckkampfhubschrauber bis hin zum leichten Rettungshubschrauber reichen. Da der Hubschrauber auch im zivilen Bereich sehr gefragt war, stellte dieser einen großen kommerziellen Erfolg für den französischen Hersteller Aérospatiale sowie den britischen Fertiger Westland Aircraft, welche den Helikopter gemeinsam entwickelten, dar. Gleichzeitig war der Helikopter der erste seiner Art, der mit einem sogenannten Fenestron-Heckrotor ausgestattet wurde – eine heute gerade bei kleineren Helikopter oft genutzte Technik.
Eine stark umgebaute Gazelle spielte auch die Hauptrolle in dem Film „Das fliegende Auge“ („Blue Thunder“) aus dem Jahr 1983. Auch wenn der Film-Helikopter über eine Flugzulassung der obersten US-Luftfahrtbehörde FAA verfügte (ohne diese wäre keine Genehmigung für die Flugszenen über Los Angeles erteilt worden), klaffen Fiktion und Realität bei dem Fluggerät jedoch weit auseinander: Die im Film kugelsichere Außenhülle wurde aus leichten Blech- und Kunststoffplatten gefertigt, das reale Gewicht hätte der im Original leichte Helikopter nicht in die Lüfte bringen können. Gleiches gilt für die Nachbildung der Gatling-Kanone im Bug, für welche im Heck der Gazelle ein Ausgleichgewicht installiert werden musste, damit ein normaler Flugbetrieb überhaupt möglich war. Ebenso ist der am Ende des Filmes gezeigte Looping reine Fiktion, eine Gazelle hätte diesen in der Realität ebenso wenig vollführen können.
Das Modell
Das Modell der Aerospace Gazelle in der Rettungs-Variante von Winner ist im Handel für rund 35 Euro erhältlich. Als Gegenwert erhält der Käufer ein 660 Teile umfassendes Set, welche Seitens des Herstellers unsortiert in 10 Tüten verpackt sind. Weiter beinhaltet der Karton einen Bogen mit über 30 Aufklebern, der durch die Bedienungsanleitung geschützt wird. Über bedruckte Teile verfügt das Set nicht.
Die Bauanleitung
Die Bauanleitung misst quer die Größe eines DIN-A4-Blattes und ist 56 Seiten dick. In Sachen Verständlichkeit kommt die Version von Winner sehr nah an die Ausführungen von Lego heran. So geht jedem Bauschritt eine Übersicht der benötigten Teile voraus, darüber hinaus beinhalten diese Abbildungen zum Größen- oder Winkelvergleich. Die Lösung bietet gerade für weniger erfahrene Baumeister eine enorme Hilfestellung.
Generell bauen die einzelnen Schritte logisch und verständlich aufeinander auf, auch sind die verschiedenen Teile sehr gut zu erkennen und voneinander unterscheidbar. Gleiches gilt für die farbliche Einordnung der Steine. Jedoch könnten in den einzelnen Abschnitten mehr Teile verbaut werden, so kann man sich beim vorliegenden Modell schnell dabei ertappen, die Teile für die nächsten drei bis vier Bauschritte auf einmal zusammenzusuchen. Darüber hinaus hätte eine doppelte Anfertigung des jeweiligen Segmentes bereits zu Anfang der Fertigung angezeigt werden können und nicht im Nachhinein. So hätte durch das Zusammensuchen der komplett benötigten Steine und anschließendem Parallelbau deutlich Zeit gespart werden können.
Alle Bauschritte werden mit vollen Farben gezeigt, eine Reduktion wie bei anderen Herstellern findet somit nicht statt. Das erhöht gerade bei kleinen Teilen die Orientierung ungemein.
Der Aufbau
Trotz der nicht nummerierten Tüten geht die benötigte Sortierung schnell von der Hand. Das liegt zum einen an der geringen Anzahl unterschiedlicher Farben sowie an dem Umstand, dass Winner zumindest größtenteils Pins und weitere technische Bauteile bereits separat verpackt hat. So sollten hier 10, im Höchstfall 15 Minuten ausreichend sein.
Der Hersteller gibt für das Modell ein Mindestalter von sechs Jahren an. Dies dürfte, wie so oft bei chinesischen Herstellern, zu optimistisch gewählt sein. Zwar ist die Bedienungsanleitung, wie bereits erwähnt, sehr verständlich aufgebaut, aber an einigen Stellen muss dennoch sehr genau hingeschaut werden. Darüber hinaus benötigen manche Bauschritte einen nicht geringen Kraftaufwand, nicht zu vergessen sind auch die vielen Aufkleber. Daher wäre ein Mindestalter von acht Jahren realistischer gewählt.
Der Aufbau beginnt erst einmal völlig unspektakulär mit der Schale und den Kufen. Dennoch muss bereits im ersten Schritt der erste Aufkleber angebracht werden. Die Sticker besitzen generell eine gute Qualität, sowohl was den Druck angeht wie auch in Sachen Stabilität. Sollten diese einmal nicht zufriedenstellend angebracht worden sein, lassen sie sich leicht wieder lösen und neu anbringen – vorausgesetzt es wird beim Abziehen vorsichtig zu Werke gegangen. Die Klebekraft lässt ohne Probleme mehrere Anbringversuche zu.
Auch wenn das Original als Fünfsitzer konzipiert wurde, hat Winner das Modell lediglich mit Platz für den Piloten umgesetzt. Kompliziert wird es beim Zusammenbau das erste Mal, wenn es an die Umsetzung der Seilwinde geht. Diese wird komplett mit den Seitenwänden als Block gefertigt und auf den Rumpf aufgesetzt. Danach folgt erneut lange Zeit ein entspannter und unspektakulärer Aufbau, bis es an die Fertigung der Turbine mit dem Rotorkopf geht. Auch wenn das Modell sich bis hierhin keine Schwachpunkte in der Konstruktion geleistet hat, hätten die Designer an dieser Stelle doch einen anderen Weg wählen sollen: Hier wird zum ersten Mal deutlich, dass sowohl Seilwinde wie auch die Rotoren zusammenhängen und über die gleiche Mechanik bewegt werden. Das bedeutet, dass wenn der Rotor gedreht wird, gleichzeitig die Winde auf- oder abrollt. Eine getrennte Nutzung ist somit nicht vorgesehen, was die Spielbarkeit deutlich einschränkt. Als einfachste Lösung bietet sich hier die Seilwinde mit dem Herausnehmen eines Zahnrades stillzulegen.
Spektakuläre Bautechniken oder schwierige Passagen hält das Modell generell nicht bereit, alles verläuft eher nach dem Motto eines gemütlichen Baunachmittages. Erwachsene dürften die Gazelle nach rund 2,5 Stunden fertiggestellt haben, Kinder könnten etwas mehr Zeit benötigen.
Das fertige Modell ist im Großen und Ganzen sehr nah an dem Original gehalten, obwohl an einigen Stellen dem Klemmraster und der Teilewahl geschuldet sichtbare Kompromisse eingegangen werden mussten. So fallen die seitlichen Stabilisierungen am Heckausleger größer als beim Original aus, gleiches gilt für die Turbine. Dennoch ist der große Bruder an der äußeren Form des Modells gut zu erkennen.
Die Modellumsetzung ist weitestgehend sehr stabil konstruiert und eignet sich dadurch auch als Spielgerät. Lediglich die Heckpartie hätte stabiler gefertigt werden können, der Rotorschutz klappert ein wenig und auch das Heckleitwerk kann sich schnell lösen. Zudem werden an dieser Stelle andere Missstände deutlich, auf die im nächsten Abschnitt genauer eingegangen wird. Eine hohe Detaillierung, wie zum Beispiel im Cockpit, darf nicht erwartet werden, alles ist etwas gröber aufgebaut.
Zum besseren Verstauen lassen sich die Rotorblätter einklappen, zum Lösen der dafür vorhandenen Pins muss jedoch einige Kraft aufgewendet werden.
Die Steinequalität
Die Steinequalität fällt beim Set der Gazelle generell erst einmal sehr gut aus. Die Steine sind vollkommen zu denen des dänischen Marktführers kompatibel, sowohl was die Passgenauigkeit wie auch die farbliche Übereinstimmung angeht. Ebenso fällt die Farbgleichheit innerhalb des Modells sehr gut aus. Die Steine selbst weisen keine größeren Kratzer auf, alles hält sich in dem auch von Lego gewohnt normalen Rahmen. Die Klemmkraft der Teile, vor allem der Pins, ist ebenso nicht zu beanstanden und der des Branchenprimus ebenbürtig.
Lediglich bei einigen Teilen hätte Winner größere Sorgfalt walten lassen müssen, da diese doch erkenntlich verzogen sind. Deutlich wird dies vor allem beim Heckleitwerk, welches sichtbar von der Mittellinie abweicht und auch durch beherztes Biegen nicht wieder in die Spur gebracht werden kann.
Fazit
Für einen Preis von 35 Euro stellt die French Aerospace Gazelle ein schönes und gelungenes Modell dar, wenn auch mit gewissen Schönheitsfehlern. Der fertige Aufbau ist stabil und eignet sich daher auch zum Spielen.
Der Aufbau gestaltet sich einfach, schwierige Passagen sind nicht zu bewältigen. Dennoch wäre ein Mindestalter von acht und nicht wie von Winner angegeben sechs Jahren realistischer gewählt gewesen. Unsinnig gelöst ist dagegen die Kopplung der Seilwinde an die Rotorumdrehung, beides hätte getrennt bedient werden müssen. So ist ein Spielen mit ständig drehendem Rotor nicht möglich – ansonsten würde es das Seil abreißen. Dieser Umstand lässt sich aber durch das Lösen eines bestimmten Zahnrades leicht lösen, womit aber auch die Seilwinde stillgelegt wird.
Die Bauanleitung ist sehr gut gestaltet, auch Kinder dürften den einzelnen Bauschritten gut folgen können. Die Angabe der für das jeweilige Teil benötigten Länge oder des benötigten Winkels in den Abschnitten macht den Zusammenbau auch für Anfänger im Bereich der Klemmbausteine einfach. Alte Hasen dürften die Länge dagegen mit einem Blick erkennen.
Die über 30 Aufkleber besitzen ebenfalls eine gute Qualität, das gilt sowohl für den Druck wie auch für deren Stabilität. Dadurch lässt sich ein versehentlich falsches Aufbringen schnell korrigieren. Prints beherbergt das Modell keine, solche wären bei dem verlangten Preis auch kaum umsetzbar gewesen. Der Vorteil besteht zudem darin, das Modell auch ohne Aufkleber zu versehen und die jeweiligen Teile später neutral nutzen zu können.
Die Steinequalität fällt zunächst ebenfalls sehr gut aus: Die Klemmkraft der Pins und anderer Teile ist mit der von Lego zu vergleichen, hinzu kommt zudem die technische wie auch farbliche Kompatibilität. Auch innerhalb des Modells selbst ist die Farbgleichheit ausgezeichnet. Äußerlich gibt es in dem Bereich ebenfalls nichts zu beanstanden, Kratzer fallen nur in kleinem Maße auf. In dieser Form können sie aber auch beim dänischen Marktführer vorkommen.
Und dennoch leistet sich Winner hier trotz allen positiven Beurteilungen den einzigen wirklichen Patzer: So sind einige, wenn auch nur wenige Teile deutlich verzogen. Dies wird vor allem am Heckleitwerk deutlich, welches nicht mittig ausfällt. Wie stabil die Teile sind, wird wiederum darin deutlich, dass diese sich auch nicht mit kräftigen Verbiegen zu einem besseren Sitz überreden lassen. Es besteht natürlich ebenso die Möglichkeit, dass dies nur im vorliegenden Set der Fall ist und das Problem bei anderen Chargen nicht auftritt.
Wer mit den genannten kleinen Fehlern leben kann, erhält im French Aerospace Gazelle (1274) von Winner jedoch ein schönes Modell zu einem günstigen Preis, mit dem auch Technik-Fremde in den Bereich reinschnuppern können, ohne ein großes finanzielles Risiko einzugehen.
Anmerkung zum Test
Die French Aerospace Gazelle (1274) von Winner wurde Just Bricks freundlicherweise von Steingemachtes für den Review zur Verfügung gestellt. Eine Einflussnahme auf den Artikel fand nicht statt, eine Verpflichtung zur Veröffentlichung bestand ebenfalls nicht.
Die French Aerospace Gazelle (1274) von Winner bei Steingemachtes
Winner 1274 – French Aerospace Gazelle im Review – Slideshow
Winner 1274 - French Aerospace Gazelle im Review
- überwiegend gute Steinequalität
- gute Farbgleichheit
- schönes Modell
- guter Preis
- stabile Umsetzung
- gute Bauanleitung
- Rotor und Seilwinde mechanisch nicht getrennt
- wenige Teile verzogen
2 Kommentare
JS
Aber lässt sich nicht dann der rotor auch über das ziehen der seilwinde in bewegung setzen? Das ist doch wiederum ganz cool zum spielen?
Michael Schäfer
Wie eine Art “Aufziehmotor”? Nein, die Seilwinde lässt sich separat steuern wenn ich mich recht erinnere.