Am Freitag, den 02. Juni 2023, war es ab 14 Uhr endlich so weit: Rita Ebel lud nach Hanau in die Brasini Caffé-Bar ein. Zur Feier der hundertsten Rollstuhlrampe stand ein Meet and Great mit dem Team der LEGO Oma an, die mit ihrer erneuten ehrenamtlichen Arbeit für die runde Zahl gesorgt hatten.
Voll war es in der Brasini Caffé-Bar. Bereits zum Beginn des Treffens um 14 Uhr standen die Menschen Schlange, um einen kleinen Gruß, einen Dank oder einfach ein paar liebe Worte dazulassen. Dem spielte auch das schöne Juni-Wetter in die Karten, welches zusammen mit Kaffee und Kuchen zum Verweilen im Café einluden. Ihren Platz hat die nun gefeierte hundertste Rampe dagegen im rund 20 Kilometer entfernten Frankfurt gefunden. Dort soll sie den Zugang der dort ansässigen Walter Kolb Stiftung am Römer erleichtern, die sich seit nunmehr über 60 Jahren in den Bereichen Bildung und Beruf engagiert. Auch medial fand die Einweihung großen Anklang, so berichtete unter anderem die Hessenschau über die „Verlegung“.
Eine schicksalshafte Erfolgsgeschichte
An den sich nun einstellenden Andrang hätte noch vor ein paar Jahren niemand zu denken gewagt. Dabei war die Idee der Rollstuhlrampen aus den bunten Steinen nicht neu und auch nicht von Rita selbst, wie sie selbst an diesem Tag noch des Öfteren anmerken wird. Auf die Idee über eine Fachzeitschrift gekommen, schritten Rita und ihre Familie schnell zur Tat. Das „MacGyvern“ sind sie gewohnt, seit ein Schicksalsschlag sie in den Rollstuhl brachte. Doch trotz dieses einschneidenden Ereignisses, behielt Rita jederzeit und auch in schwierigeren Zeiten ihre Lebensfreude und ließ sich nie wirklich einschränken.
Dabei hielt die neue Lebenssituation schnell Klippen bereit, die es zu nehmen galt – und das nicht nur im übertragenen Sinne. So nervten Treppen und auch noch so kleine Stufen recht schnell, wirkliche Hilfen waren jedoch rar gesät und längst war nicht jedes Gebäude oder jeder Platz barrierefrei zugänglich. Oftmals hätte eben bereits eine kleine Rampe für ein „bezwingen“ ausgereicht.
Die erste Rampe noch für den Eigenbedarf
Die aufgenommene Idee mit den Rampen aus den bunten Kunststoffsteinen wurde schnell realisiert, Kontakte geknüpft und die erste Version gebaut. Diese war jedoch noch für die eigene Nutzung vorgesehen, denn auch der Weg vom heimischen Wohnzimmer zur Terrasse kann für Rollstuhlfahrer seine Tücken bereithalten.
Nach der ersten Rampe folgte schnell die zweite, welche zwar außerhalb der eigenen vier Wände ihren Platz fand, aber ebenfalls nicht ohne einen gewissen Eigennutz installiert wurde. Das zeigt auch der für das jetzige Zusammentreffen gewählte Ort, der nicht zufällig auserkoren wurde: Am Eingang der Brasini Caffé-Bar platzierte Rita ihre zweite Rampe.
Vier Jahre und ein Ziel
Seit 2019 baut Rita nun mit ihrem mittlerweile 9-köpfigen Team ehrenamtlich Rampen und verschenkt diese. Vielen Menschen mit Rollstühlen, Rollatoren oder Kinderwägen hat die Gruppe bereits dadurch den Zugang zu Cafés, Kitas, Kirchen und Behörden merklich erleichtert. Die Steine dafür werden ihr dabei von Privatpersonen gespendet. Dabei sind nicht nur Steine des dänischen Marktführers gerne gesehen, auch Erzeugnisse alternativer Hersteller werden nicht verschmäht – nur kompatibel müssen sie sein.
Doch die Rampen erfüllen laut Rita mehr als nur den Zweck, den besagten Menschen die Teilhabe am Leben zu erleichtern. Durch ihre bunte Mischung fallen sie sofort auf und sollen dadurch ein Bewusstsein für ein Problem schaffen, das Menschen ohne Einschränkungen kaum wahrnehmen: Kleine Stufen können große Hindernisse darstellen.
Eine Rampe geht um die Welt
Ein paar Jahre später findet sich das Projekt heute in aller Welt wieder. Rampen nach Ritas Vorbild liegen in ganz Deutschland, Italien, Paris, Wien und vielen weiteren Städten und Ländern dieser Welt und an vielen Orten finden sich kleine Gruppen, die nach Ritas Vorbild Rampen bauen. Dabei ist es oft gar nicht einmal die Rampe an sich, die bewegt: „Ein tolles Gefühl ist es, wenn eine Rampe fertig ist, da man genau weiß, dass jetzt ein Mensch, der vielleicht nicht so mobil ist, wie man selber, einen Schritt weiter kommt und dahin gelangt, wo er vorher nicht hinkam“, zieht Teammitglied Silke ihr Resümee. Da die Rampen jedoch kein zertifiziertes Hilfsmittel darstellen, ist es gerade im öffentlichen Raum wichtig, die Behörden über das Vorhaben zu informieren. Der Bürgermeister der Stadt Hanau stand dem Projekt von Anfang an sehr offen gegenüber und das Ordnungsamt toleriert die bunten Rampen. In vielen Augen ein starkes Zeichen.
Um den zahlreichen und vor allem gewollten Nachahmern die Arbeit zu erleichtern hat das LEGO Oma Team eine Anleitung erstellt, die mittlerweile in neun Sprachen übersetzt wurde.
Auch den Besuchern des heutigen Treffens ist die Begeisterung anzusehen: „Ich finde es total faszinierend, dass ein Mensch so etwas einfach mal als Projekt übernommen und das auch durchgezogen hat!“, gibt eine Besucherin des Meet and Greats an. Die Leistung, die das Team rund um Rita Ebel verrichtet, sollte dabei vor allem eines: nicht unterschätzt werden. In jede Rampe fließen rund 50 Stunden Bauzeit und zwischen 7.000 und rund 11.000 Steine. Bei nun 100 Rampen stellt dies eine nicht mehr zu überschauende Masse an Zeit und Steinen dar, die im Laufe der Zeit investiert wurden. Hinzu kommt, dass Rita keine der vielen an sie gerichteten E-Mails unbeantwortet lässt und dadurch pro Tag durchschnittlich zwei Stunden damit verbringt, Anfragen aller Art zu beantworten. Alles andere als eine Selbstverständlichkeit.
Aufhören kein Gedanke
Zwar hatte Rita zwischenzeitlich durchaus den Gedanken, mit der hundertsten Rampe das Projekt zu beenden. Doch darauf angesprochen lehnt sie mit hessischer Nonchalance ab und möchte vom Aufhören dann doch nichts wissen. Die 101. ist bereits fast fertiggestellt, 10 weitere stehen auf der Warteliste.
Veränderte Sicht auf die Dinge
2020 wurden wir durch einen Radiobeitrag bei „Koschwitz am Morgen“, einer Sendung des Hessischen Rundfunks, auf das Projekt aufmerksam. Rita stellte in dieser Sendung ihr Vorhaben vor und bat gleichzeitig um Steinespenden. Und hier konnten wir helfen: Wenn ein LEGO-Gebrauchtteilehändler, wie es Pandoras Box ist, eines hat, dann sind es nicht wenige Steine, die zwar verbaut, aber aufgrund ihres schlechten Zustandes nicht guten Gewissens verkauft werden können. Bissspuren, Farbstiftmarkierungen, Kratzer, Schrammen – all das spielt für dieses Projekt keine Rolle, denn die Steine werden fest miteinander verklebt. Immerhin sollen die Rampen hinterher auch elektrische Rollstühle tragen können, die schon mal gerne bis zu 150 kg wiegen. Seither haben wir mit Rita viele Kilos an Steinen getauscht und ihr Projekt immer wieder unterstützt. Auch ein Interview durften wir bereits mit ihr führen. So entstand nicht nur ein Kontakt, sondern im Laufe der Zeit auch eine Freundschaft, für die wir gern nach Hanau gefahren sind, um mit Rita zu feiern.
In dieser Zeit hat auch bei uns ein Umdenken stattgefunden: Seit wir Steine für Ritas Projekt sammeln, fällt uns selbst auf, wie oft kleine Stufen einen einfachen Zugang verhindern und wie umständlich angeblich barrierefreie Eingänge sein können. Es entsteht für uns nicht selten der Eindruck, als leben wir in einem Land, in dem es mehr Mauern als Wege gibt.
Zwar werden die Rollstuhlrampen nicht die Welt verändern, wohl aber die Herzlichkeit, das Engagement und die Farbenfroheit den Blick von Hilfsbedürftigen, Passanten, Freunden und Familie. Greta Thunberg sagte 2018: „Ich aber habe gelernt, dass man niemals zu klein ist, um einen großen Unterschied machen zu können“ – und so ist der Gedanke und der Wunsch nach Barrierefreiheit und Inklusion kein kleiner, den wir von Pandoras Box weiter unterstützen werden. Daher sollte sich niemand darüber wundern, warum so gut wie nie 2 × 4er Bricks und Plates in unserem Shop verfügbar sind: die werden mit viel Freude in Hanau verklebt!
Wer dieses starke Projekt ebenfalls unterstützen möchte oder selbst eine Rampe bauen will und Hilfe benötigt, kann sich gerne über dielegooma@gmail.com mit der LEGO Oma in Kontakt treten. Darüber hinaus informiert Rita über Instagramm und Facebook über ihre Projekte.
4 Kommentare
Horstbroot
Ein wunderschöner Artikel über eine echte Herzensangelegenheit die ihres gleichen sucht. Menschen wie Rita machen die Welt ein Stück bunter, inklusiver und lebenswerter! Beide Daumen hoch! 🙂
KAthrin
Hey Du,
vielen Dank! Es freut uns sehr, dass Dir der Artikel gefällt. Es sind solche – an und für sich betrachtet – eher kleinen Dinge, die die Welt doch bewegen.
Liebe Grüße an Dich und wir wünschen Dir ein grandioses Wochenende,
Kathrin von Pandoras Box.
Das_Grauen
Einerseits freut mich das für die Rollie-Fahrer, aber andererseits finde ich es eigentlich nicht richtig, daß gebrauchte Klemmbausteine, mit denen Kinder (gerade einkommenschwächerer Haushalte) noch viel Freude haben könnten, zweckentfremdet werden, um damit die Rampen zu bauen. Mit dem Verkauf der Steine bei Ebay hätte man genug Geld machen können, um Holzrampen zu kaufen.
Kathrin
Hallo
und vielen Dank für Deinen Kommentar.
Bei diesem Projekt werden niemandem Steine weggenommen. Die Steine werden alle freiwillig gespendet und aus der Erfahrung heraus können wir dir sagen, dass die allermeisten Steine seit vielen Jahren auf Dachböden und in Kellern verstauben und niemand dran dachte, dass diese noch genutzt werden könnten. Die meisten Konvolute, die Rita gespendet werden, sind aus den siebziger bis achtziger Jahren. Für das Projekt können auch nur bestimmte Steine verwendet werden, sodass aus allen gespendeten Konvoluten immer Steine übrigbleiben, die zum Teil, schon für verschiedene andere soziale Einrichtungen oder Projekte gespendet wurden. So zum Beispiel für unseren Klemmbausteinschrottbauwettbewerb bei dem zerbrochene, verzogene, gesplitterte oder anderweitig die CE-Norm nicht mehr erfüllende Steine, an die Teilnehmer verschenkt wurden um damit Spenden für die KRAKE – ein Projekt, dass das Rheinufer in Köln vom Müll befreit – zu sammeln.
Rita hat im Zuge dieses Projektes auch immer wieder Rampen gebaut extra für Kinder, die schon in jungen Jahren an den Rollstuhl gebunden sind und beispielsweise Kindergärten gar nicht erst betreten konnten oder nicht in den Garten ihres Elternhauses kamen. Übriggebliebene Steine wurden auch schon mehrfach direkt an Kinder in Hanau verschenkt.
Barrierefreiheit hat in Deutschland viele Probleme – zum einen, liegt es daran, dass viele Hilfsmittel langwierig zertifiziert, werden müssen. So müssen reguläre Rollstuhlrampen, beispielsweise aus Stahl oder Beton sein, einen bestimmten Neigungswinkel nicht über- oder unterschreiten und sind damit bei vielen Geschäften oder Orten kaum an- oder unterzubringen; da durch die gesetzlichen Vorgaben der komplette Gehweg für viele blockiert werden würde. Ein Problem auf das wir auch erst durch dieses Projekt aufmerksam wurden.
Die LEGO-Rampen haben auch einen symbolischen Effekt: Aufmerksamkeit. Schrill und bunt sind sie und lenken damit überhaupt erst den Blick auf ein Problem, das viele Menschen haben, nicht nur Menschen, die auf einen Rollstuhl angewiesen sind. Auch Eltern mit Kinderwägen, ältere Menschen mit Rollatoren und jeder Mensch, der in irgendeiner Form Probleme beim Gehen oder Treppensteigen hat.
Gerade einkommensschwächeren Haushalten ist mit Verkäufen auf eBay eher weniger geholfen. Wir Beobachten den Markt dort sehr intensiv und auch wenn dort häufig große Konvolute mit 20kg Steinen und mehr angeboten werden, schießen die Preise doch, sehr schnell, sehr hoch. Und selbst bei kleinen Mengen, wird gepuscht.
Aus Erfahrung heraus kann ich auch sagen: Diejenigen, die am wenigsten haben, die geben am meisten und es kam nicht selten vor, dass gerade Kinder, von sich aus gesagt haben, dass sie Steine abgeben wollen. Die Vermutung, dass also Kindern im Zuge dieses Projektes etwas weggenommen werden könnte, ist grundlegend falsch.
Viele Grüße,
Kathrin.
~Pandoras Box~