Mit Jing betritt ein vermeintlich neuer Steinehersteller die Weltbühne, der in den Markt für reine Teileproduzenten für andere Hersteller und ohne eigene Sets, wie bereits GoBricks vor ihm, einsteigen will. Doch im Grunde handelt es sich bei diesem um einem alten Bekannten.
So handelt es sich bei Jing nicht um einen Hersteller im eigentlichen Sinne, sondern „lediglich“ um eine neue Marke des im Klemmbausteinbereich bekannten Unternehmens QunLong. Dieses stellt nicht nur unter eigenem Namen entsprechende Sets her, sondern unter anderem auch über die bekannte Marke Zhe Gao. Auch wenn bei den genannten Sets die Qualität der einzelnen Teile in den letzten Jahren ebenfalls stetig gestiegen ist, sind diese im Vergleich zu anderen Herstellern jedoch nach wie vor eher im oberen Mittelfeld zu verorten.
Das soll mit Jing nun anders werden. Dafür hat das Unternehmen viel Geld in die Hand genommen und laut eigener Aussage eine eigens für die erst vor ein paar Monaten gegründete Marke einen eigenen über 30.000 m² umfassenden, hochmodernen Fertigungskomplex in Shantou, dem Zentrum der Spielwarenindustrie in China, in der Provinz Guangdong geschaffen. In dieser sollen neuste Druckgussmaschinen zusammen mit Präzisionswerkzeugen für eine sehr hohe Qualität bei der Fertigung sorgen. Das, was Jing an Informationen für die neuen Steine bereitstellt, dürfte bei mit der Materie bewanderten Baumeistern für ein Aufhorchen sorgen – so soll unter anderem die Präzisionstoleranz der Steine lediglich zwischen 0,01 mm und 0,005 mm liegen.
Unter die Lupe genommen
Um der Steinequalität einmal auf die Noppe zu fühlen wurden für diesen Review zwei Probe-Kits, welche der Hersteller an potenzielle Abnehmer verteilt hat, vom Bausteinreich zur Verfügung gestellt. Im ersten Karton finden sich vornehmlich mehr oder weniger normale Steine in den Farben Blau, Gelb, Grün und Rot sowie ein paar Liftarme, Panele, Konnektoren, Pins und weitere Teile aus dem Technikbereich. In einem später verteilten zweiten Probepaket kamen noch transparente Steine und Fliesen sowie Technikteile in verschiedenen Farben, Zahnräder und größere Achsen hinzu. Natürlich kann die eigentliche Qualität nur durch den Aufbau eines normalen Modells wirklich in Erfahrung gebracht werden, die Probesteine sollten aber für einen ersten Eindruck durchaus ausreichend sein.
Dass es sich bei den neuen Steinen nicht einfach um alten Wein in neuen Schläuchen, sprich, dass es sich um gewöhnliche Steine zum Beispiel für Zhe Gao handelt, lassen die Unterschiede in den Gussnasen sofort erkennen. Diese fallen bei den neuen Steinen von Jing deutlich dezenter als bei den auf Just Bricks schon oft verbauten Steine aus: Während bei vielen der bisherigen Steine und Plates die Angusspunkte leicht in die Noppe hineingedrückt wurden, fallen diese bei den entsprechenden Teilen von Jing deutlich kleiner und feiner aus. Darüber hinaus befinden sich diese meist an den gleichen Stellen, an denen auch GoBricks ansetzt.
Bei manchen Steinen sind die Gussnasen jedoch an etwas ungünstigen Stellen angebracht, so wie bei den 1 × 2 inverted Slopes, bei denen die Punkte auf der Rückseite angebracht sind und dadurch, je nach Verwendung, sehr leicht zu erkennen sind. Zuviel Kritik sollte hier aber nicht angebracht werden, Lego setzt diese Steine auf die gleiche Art und Weise um.
Ein erster Aufnopptest der einzelnen kleinen Teile verdeutlicht ebenfalls die Qualitätsverwandschaft zu GoBricks. So lassen sich die Steine mit ähnlichem Kraftaufwand gut zusammenklemmen, aber auch wieder leicht lösen. Gegenüber dem dänischen Marktführer ist das Baugefühl aber nach wie vor ein anderes, die vorliegenden Teile gleiten viel mehr ineinander. Die Klemmkraft fällt in den meisten Fällen sogar einen Ticken höher aus, lediglich die 1 × 4 Plates könnten in der Hinsicht ein wenig Nachbearbeitung vertragen.
Gleiches gilt für die Farbgleichheit, bei der sich die 2 × 2 Plates deutlich vom Rest der Steine unterscheiden – bei Gelb und Rot dunkler, bei Grün heller. Lediglich bei den blauen Steinen passt alles zusammen. Von den Steinen des Marktführers, die immer noch als Fixpunkt für einen Vergleich herangezogen werden, ist Jing aber generell deutlich entfernt. Leichte Unterschiede gegenüber diesen weisen auch die Erzeugnisse von GoBricks auf, dennoch liegen diese näher am Maßstab.
Generell hinterlässt das Finish der Steine jedoch einen hochwertigen Eindruck, die Gussnasen sind wie bereits beschrieben sehr klein und auch die restliche Oberflächenbeschaffenheit wie auch die Haptik ist sehr gut. Dies wird vor allem bei den großen 4 × 4 Fliesen mit einer Noppenreihe oben deutlich – von den 20 dem Paket beiliegenden wiesen nur zwei leichte Kratzer auf. Manch chinesischer Hersteller wäre froh um diese Quote.
Fast perfekt zeigen sich dagegen die in verschiedenen Größen und in den Farben Blau, Grün, und rot gehaltenen transparenten Plates des zweiten Kartons. Diese sind völlig klar gehalten, weisen so gut wie keine Beschädigungen auf und besitzen ebenfalls eine sehr gute Klemmkraft.
Somit bewegen sich die zur Verfügung gestellten Steine durchaus qualitativ auf dem Niveau von Lego. Darüber hinaus macht sich Jing die Mühe, die Schrägen der (inverted) Slopes leicht angeraut umzusetzen – nicht wenige chinesische Hersteller von alternativen Steinen gehen hier den einfacheren und eventuell auch kostengünstigeren Weg einer glatten Oberfläche.
Hochwertige Technikkomponenten – mit einer Ausnahme
Bei den Technikteilen setzt sich die festgestellte Qualität fort, denn auch hier ist das Finish sehr gut. Das wird vor allem bei den Liftarmen deutlich, welche saubere Kannten und Löcher ohne Reste besitzen. Nach den Gussnasen muss zumindest bei den orangen Vertretern schon akribisch gesucht werden, um diese zu finden – die grünen Vertreter sowie die grauen Rahmen offenbaren diese aufgrund des dunkleren Hintergrundes schon eher. Dennoch sind die Angusspunkte sehr vorausblickend an Punkten angebracht, die nicht sofort ins Auge fallen. Lediglich bei den Panelen sind diese vorne auf der Oberfläche zu erkennen, aber auch hier fallen sie gering aus. Die Oberflächen sind zudem völlig unversehrt, keine Beschädigungen oder Kratzer sind zu erkennen. Die beschrieben Eigenschaften gelten im Übrigen auch für die transparenten Ausführungen im zweiten Testkit, lediglich bei den großen lilanen Panelen sind deutliche Schlieren zu erkennen – ansonsten ist alles hervorragend.
Die genannten Teile nehmen die Pins sehr gut auf, von denen Jing sowohl Varianten mit und ohne Friktion dem Probepaket beilegt. Diese lassen sich leicht einstecken und auch wieder lösen, besitzen aber wiederum genügend Widerstand, um eine hohe Stabilität zu garantieren. Die sandfarbenen Pins ohne Friktion lassen sich sehr leicht drehen, die blauen Pins mit Friktion benötigen für eine Bewegung schon einen hohen Kraftaufwand. Die schwarzen Pins liegen dagegen ungefähr in der Mitte. Ein Verkanten muss beim Zusammenklemmen von Liftarmen und Panelen nicht befürchtet werden, alles geht sehr gut ineinander über.
Das zweite Testkit führt zudem weitere Achsen sowie Zahnräder und Konnektoren. Die Achsen lassen sich auf die genannten Teile leicht aufstecken und auch wieder lösen, besitzen aber, wie bereits die Pins, einen guten Rückhalt. Auch hier ist eine hohe Stabilität zu erkennen. Das ist bei anderen Herstellern nicht immer der Fall, bei CaDA sitzen zum Beispiel nicht selten die Achsen deutlich zu locker in den Konnektoren.
Überzeugen können auch die vielen unterschiedlichen Zahnräder, die ebenfalls eine hohe Fertigungsqualität aufweisen. Durch diese resultiert zudem eine hohe Leichtläufigkeit, selbst wenn eine größere Anzahl von diesen hintereinander angebracht ist, hakt oder ruckelt nichts. Ein Garant für komplexe Konstruktionen.
Fazit
Alleine schon für den Konsumenten ist es von Vorteil, wenn ein zweiter großer Hersteller auf dem Klemmbausteinmarkt agiert, der in hoher Qualität fertigt. Die Grundvoraussetzungen hat Jing definitiv geschaffen, auch wenn an der einen oder anderen Stelle noch Optimierung notwendig ist. Die jetzigen Probesteine sind jedoch verheißungsvoll und zeigen, dass sich das Unternehmen auf dem richtigen Weg befindet.
So besitzen die Steine bis auf kleine Ausnahmen eine sehr gute Klemmkraft, die genau den Kompromiss zwischen hoher Stabilität und leichtem Lösen trifft. Bei den Technikteilen verhält es sich nicht anders, hier sind Bauteile wie Liftarme und Panelen gut auf die Pins und Achsen abgestimmt. Gleiches gilt für die Zahnräder, die ebenfalls in einer hohen Qualität gefertigt sind. Während diese bei anderen Herstellern nicht selten eher hakelig miteinander agieren, läuft bei Jing alles „geschmeidig“ und ist daher auch für komplexe Konstruktionen nutzbar.
Die Oberflächenbeschaffenheit lässt ebenfalls kaum Grund zur Kritik aufkommen, hier können vor allem die transparenten Teile punkten. In Sachen Farbgleichheit muss Jing an manchen Stellen jedoch noch ein wenig die Schulbank drücken, einige Plates scheren hier doch sichtbar aus.
Am Ende bleibt die Frage, wo es mit Jing hingehen wird und wem die Steine angeboten werden sollen. Wird Gerüchten in der Szene Glauben geschenkt, soll der Hersteller einen Marktplatz für Einzelsteine anstreben, aber ebenso die Steine anderen Produzenten von Modellen zur Verfügung stellen – und somit das gleiche Geschäftsmodell wie GoBricks verfolgen. Auf der anderen Seite kann es aber auch sein, dass die eigenen Marken des Mutterkonzerns eine Aufwertung in Sachen Steinequalität erfahren und somit QunLong selbst und die zu ihm gehörenden Unternehmen wie Zhe Gao in Zukunft die neuen Steine ebenso verwenden werden.
In allen Fällen wäre es für den Konsumenten ein Gewinn, was vielleicht auch bei GoBricks zu einer Reduzierung des Preises führen würde. Für Baumeister bleibt es also spannend.
Anmerkung zum Review
Die beiden Testpakete von Jing wurde Just Bricks freundlicherweise vom Bausteinreich für diesen Review kostenlos zur Verfügung gestellt. Eine Einflussnahme auf den Artikel fand nicht statt, eine Verpflichtung zur Veröffentlichung bestand ebenfalls nicht.
3 Kommentare
5N00P1
Ich bin sehr auf die Jing Steine gespannt und wann wir sie das erste mal in einem Set sehen werden und zu wie viel % dieses aus Jing Steinen bestehen wird….
Oliver
Hallo,
wie sieht das mit dem Geruch der Teile aus? Zwei chinesischen Anbietern ist mir ein deutlicher Chemie-Geruch der Steine ausgefallen. Dieser war schon fast penetrant. Dieser chemische Geruch ist mir beim Marktführer nicht aufgefallen. Ist euch da etwas aufgefallen?
Michael Schäfer
Hallo Oliver,
welcher Hersteller waren das denn? Mir ist das bisher extrem nur bei einem Set von Woma aufgefallen, andere Sets von denen waren vollkommen in Ordnung. Beim “Gasthaus des Kreuzritter” von MCM ist mir beim Öffnen der Verpackung auch ein gewisser Geruch entgegen geschlagen, die Steine waren aber in Ordnung. Denke mal, dass manche Teile nach der Herstellung sofort verpackt wurden und dann ausgedünstet sind.
Bei Jing ist mir nichts dergleichen aufgefallen, da war alles in Ordnung, habe auch extra noch mal die Nase drann gehalten – aber wie gesagt, alles normal.